Die Mehrdimensionalität der Nachhaltigkeit

Erschienen im vbw-Magazin aktuell 01/2022

Interview mit Bau-, Architektur- und Dekarbonisierungs-Experten

Nachhaltigkeit ist eines der bestimmenden Themen unserer Zeit – und das in allen Dimensionen: Ökologie, Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit. Prof. Dr. Werner Sobek, Gründer und Aufsichtsrat der Werner Sobek AG, und Pionier nachhaltiger Architektur, Dr. Stefanie Weidner, Leiterin der Nachhaltigkeitsstrategie bei Werner Sobek AG, Dr. Martin Handschuh, Gründer und Geschäftsführer der ECO2NOMY GmbH, und Robert Bechtloff, Referent für Nachhaltigkeit beim vbw, im Gespräch darüber, welche Nachhaltigkeitsaspekte insbesondere in der Wohnungswirtschaft von Relevanz sind und welche Entwicklungen zukünftig zu erwarten sind: Klimaschutz, Klimafolgenanpassung, bezahlbarer Wohnraum, nachhaltiges Bauen, Lebens- und Wohnqualität, Inklusion, Partizipation, gesellschaftliches Miteinander und gute Unternehmensführung.

Bechtloff: Herr Professor Sobek, Sie zählen zu den Pionieren in puncto Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft rund um das Bauen und Wohnen. Was verstehen Sie unter dem Begriff „Nachhaltiges Bauen“?

Sobek: Nachhaltigkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Projekt, das, vereinfacht gesprochen, die Bereiche der sozio-kulturellen, der ökonomischen und der ökologischen Nachhaltigkeit umfasst. Alle diese drei Bereiche sind von gleicher Wichtigkeit. Und jetzt beziehe ich mich auf einige Aspekte der ökologischen Nachhaltigkeit im Bauschaffen: Ich habe bereits 1998 gesagt, dass wir uns selbst strenge Zielvorgaben machen müssen. Eine davon habe ich Triple Zero® genannt. Die erste Null steht für „kein Verbrauch von Energie in der Nutzungsphase, die auf der Basis von Verbrennungsprozessen bereitgestellt wird“. Die zweite Null steht für „keine klimaschädlichen Emissionen bei der Herstellung, dem Betrieb oder beim Um- und Rückbau der Gebäude“. Die dritte Null steht für „kein Abfall“. Kein Abfall, weder in der Produktionskette noch beim Um- und Rückbau und dem Recycling. In Summe also Materialminimalität, sorgsame Verwendung der Baustoffe und ein Rezyklieren dieser Baustoffe auf möglichst hohem Niveau.

Weidner: Daraus lässt sich in der Praxis eines auch ganz konkret ableiten, nämlich so gut wie möglich mit vorhandener Gebäudesubstanz zu arbeiten. Daher führen wir für Neubauvorhaben Vergleiche der Treibhausgasemissionen und Umweltwirkungen durch und zwar zwischen dem Szenario Abbruch des Bestands und Neubau und dem Szenario adäquate Bestandssanierung, ggf. mit Aufstockung bzw. Nachverdichtung. Weltweit gehen rund 8% aller CO2-Emissionen allein auf die Herstellung von Zement zurück. Ziel muss es daher sein, ein Neubauvorhaben nur noch bei substanzieller Mehrwertgenerierung zu realisieren und so Ressourcen und Emissionen einzusparen.

Bechtloff: Für unsere vbw-Mitgliedsunternehmen ist es wichtig, bezahlbaren Wohnraum zu bieten – und das in einer nachhaltigen Weise. Frau Dr. Weidner, wie kann das gelingen und worauf kommt es an?

Weidner: Nachhaltigkeit ist grundsätzlich ein sehr breit gefächertes Themenfeld und muss auch als solches holistisch betrachtet werden. Vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung und der Klimaschutzziele der Regierung werden Immobilienbesitzer nicht umhinkommen, auch die ökologischen Aspekte – Klimaschutz, Resilienz und Umweltbewusstsein über den gesamten Lebenszyklus hinweg – anzugehen. Damit dies bei bezahlbaren Mieten gelingen kann, bedarf es genauer Planung und optimaler Nutzung von Fördermitteln. Darüber hinaus ist es wichtig, die Nutzungsdauer der Gebäude durch Erfüllung sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeitsaspekte zu sichern.

Bechtloff: Herr Dr. Handschuh, Sie arbeiten mit ihrer Firma genau an dem Punkt, an dem Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit zusammenkommen. Sie haben mit Ihrem Team die Portfolios zahlreicher Wohnungsbauunternehmen analysiert und Klimastrategien erarbeitet. Welche Muster haben Sie erkannt in Bezug auf Nettokaltmieten und Energieverbräuche?

Handschuh: Unsere Analysen zeigen klar: Viele der vbw- und GdW-Unternehmen vermieten Wohnungen mit Kaltmieten deutlich unter den marktüblichen Mietspiegeln. Damit sind die Unternehmen mit ihren Aktivitäten genau das, was Herr Gedaschko als Präsident des wohnungswirtschaftlichen Spitzenverbandes GdW „gelebte Mietpreisbremse“ nennt, und erfüllen eine aus unserer Sicht hochrelevante Aufgabe. In Bezug auf die Energieverbräuche stellen wir – und das übrigens auch bei Gebäuden privater Vermieter – fest, dass Gebäude mit besonders geringen durchschnittlichen Nettokaltmieten besonders hohe Energieverbräuche ausweisen und somit auch besonders hohe energiebezogene Nebenkosten.

Bechtloff: Und genau jetzt – in Zeiten rasch steigender Energiepreise – ist das ein Problem.

Handschuh: Ja, genau. Das ist absolut richtig. Und es ist einer der Punkte, an dem alles zusammenkommt. Um Kosten zu verringern und einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, müssen wir runter mit den Energieverbräuchen – und damit einhergehend natürlich auch mit den CO2-Emissionen. Und energetische Sanierung bringt bei Gebäuden mit bislang hohen Energieverbräuchen und CO2-Emissionen besonders viel.

Bechtloff: Was ist erforderlich, dies zu erreichen?

Handschuh: Technische Maßnahmen, wie die Schaffung einer wirkungsvollen Gebäudehülle auf Effizienzhaus 85- und 70-Niveau sowie der Einsatz effizienter CO2-freier bzw. CO2-reduzierter Wärme- und Warmwasserversorgung sind offensichtlich von Bedeutung. Hinzu kommen Betriebsoptimierung und Anstrengungen aller, sich energieeffizient zu verhalten. Nur wenn wir auch Letzteres schaffen, können die technischen Maßnahmen ihr volles Potential entfalten, nur dann gelingt es, Energie, Emissionen und Energiekosten wirkungsvoll zu senken. Das ist natürlich auch eine Frage der kontinuierlichen Mietersensibilisierung über verschiedene Kommunikationskanäle. Durch Information, Transparenzschaffung, konkrete Hinweise und Empfehlungen, Mitmachaktionen, etc. können Wohnungsbauunternehmen einen Beitrag leisten. Das ist nicht einfach – aber wir alle sind gefordert, hier einen Beitrag zu leisten.

Bechtloff: Förderinstrumente und finanzielle Unterstützungsmechanismen sind hierfür relevant, oder?

Handschuh: Die energetische Sanierung und weitere Dekarbonisierung im Bestand, aber auch im Neubau wird in der gemeinwohlorientierten Wohnungswirtschaft nicht ohne Fördergelder möglich sein. Klimaschutz kostet Geld und muss hier mit bezahlbaren Mieten vereinbar bleiben. Förderinstrumente gibt es auf Bundes- und Länderebene, aber auch bei den Kommunen. Wir sind gespannt, wie sich die Förderlandschaft weiter entwickeln wird und hoffen, dass es dabei möglichst große Offenheit hinsichtlich der Methoden gibt, mit denen wir die CO2-Emissionen reduzieren, also Technologie- und Lösungsoffenheit. Mit immer höheren Gebäudestandards allein wird dies aus rein wirtschaftlichen Überlegungen nicht möglich sein. Das Geld sollte aus Sicht des Klimaschutzes zunächst dort investiert werden, wo der größte Effekt entsteht. Mit immer dickerer Dämmung, um es einmal überspitzt zu sagen, wird dies nicht gelingen.

Weidner: Wichtig ist, vor lauter Energieeinsparungsmaßnahmen nicht den Blick aufs Ganze zu verlieren und andere Aspekte, wie z.B. graue Emissionen aber auch Faktoren der sozialen Qualität dabei zu vernachlässigen. Hier sehe ich Kommunen auch in der Verpflichtung, zum einen, gewisse Ansprüche an Nachhaltigkeitsthemen jenseits der Energieeinsparung zu adressieren, zum anderen, schnellstmöglich einen Umstieg der kommunalen Wärme- und Energieversorgung auf Nullemissionen – nicht nur netto-null! – voranzutreiben.

Bechtloff: Herr Sobek, neben dem Klimaschutz ist es aber auch wichtig, die Folgen der Klimaerwärmung abzufedern. Was gibt es hier für Möglichkeiten?

Sobek: Eine Veränderung hin zu trockeneren und heißeren Sommern ist in Süddeutschland jetzt schon spürbar. Das ist insbesondere für ältere Menschen und Menschen mit Herz-Kreislauf-Problemen und für Menschen, die im Freien arbeiten, belastend. Die Wohnungswirtschaft kann hier mit kleinräumigen Maßnahmen zur Verbesserung des Stadtklimas einen wichtigen Beitrag leisten, beispielsweise mit Bäumen, Fassadenbegrünungen, Schattierungsanlagen oder aktiver Kühlung durch Verdunstung. Bei Neubauten gibt es noch mehr Möglichkeiten: Helle Dachflächen oder Dachbegrünungen, gerne auch in Kombination mit Photovoltaik oder Solarthermie, Regenwasserrückhaltung, weniger versiegelte Verkehrsflächen, hellere Beläge für Straßen und Wege sind Beispiele hierfür. Durch den Klimawandel konnten wir in den letzten Jahren spüren, dass die Trockenperioden länger werden, die Sommer tendenziell heißer und die Starkregenereignisse häufiger. Das führt zu Belastungen nicht nur der Flora und Fauna sondern auch in der Bevölkerung. Wir bei Werner Sobek haben in einer Studie (KLIBAU) für das Forschungsprogramm Zukunft Bau zum Thema klimaangepasstes Bauen die Auswirkungen von Begrünung auf das Mikro- und Innenraumklima untersucht. Und konnten feststellen, dass vor allem im Sommer die Begrünung durch schattenspendende Bäume im Außenraum aber auch auf Dächern und in Form von Moosen an Fassaden einen positiven Einfluss auf die Temperaturentwicklung hat. Ich persönlich fühle mich auch in einem voll versiegelten urbanen Raum nicht so wohl wie wenn dieser durch Grünstreifen und Bepflanzung aufgebrochen wird. Die nützlichen Nebeneffekte, wie Retentionswirkung bei Starkregen, Reduktion von Hitzeinseln und Förderung der Biodiversität sprechen ebenfalls für eine verstärkte Begrünung. Vorsichtig werde ich, wenn zu viele konstruktive Maßnahmen ergriffen werden müssten, um Begrünung an oder auf Gebäude zu bringen, denn das erzeugt schließlich wieder Emissionen – hier muss der positive Effekt auf die Umgebung stets individuell neu bewertet werden.

Bechtloff: Welche Bedeutung messen Sie, Frau Weidner, dem Thema Artenvielfalt in der Wohnungswirtschaft bei?

Weidner: Durch eine kontinuierliche Erweiterung von urbanem Raum wird die natürliche Umwelt immer weiter verdrängt. Das massenhafte Artensterben, mit dem wir uns konfrontiert sehen, ist eine der Konsequenzen. Umso wichtiger ist es, Biodiversität auch im urbanen Raum anzudenken, denn nicht nur Kultur- oder Naturlandschaften gelten als Ökosysteme, auch Städte beheimaten erstaunlich viele Tier- und Pflanzenarten. Studien haben gezeigt, dass sich die Anwesenheit von Grünflächen und insbesondere Bäumen im Wohnumfeld messbar positiv auf die körperliche und geistige Gesundheit von Menschen auswirkt und somit die Lebensqualität erhöht. Das ist im Übrigen auch einer der wesentlichen Vorteile von begrünten Fassaden. Schon mit kleinen Maßnahmen zur Begrünung von Flächen, Balkonen und Dächern, insektenfreundlicher Beleuchtung und wo möglich, einem kleinen Teich, Nachbarschaftsgarten oder einer gemischten Gebüschgruppe kann schon ein guter Beitrag zur urbanen Biodiversität geleistet werden.

Bechtloff: Herr Sobek, Ihre Gedanken zur Quartiersentwicklung: Wie sehen Wohnen und Arbeiten der Zukunft aus und die Lebensqualität der kurzen Wege?

Sobek: Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, solitäre Bauwerke auf der grünen Wiese zu bauen. Es gibt stets einen urbanen Kontext und ein natürliches Umfeld, die mitbedacht werden müssen. Dies gilt für soziale Aspekte ebenso wie für die Themen Mobilität und Versorgung. Wir haben für letztere den Begriff der „Schwesterlichkeit“ eingeführt. In einem ersten konkreten Fall versorgte ein Neubau in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart mit seiner überschüssigen Energie das denkmalgeschützte Museum der Siedlung. Die Prinzipien könnten also sein: Ortsnahe Energiebereitstellung durch Energiegewinnung am Gebäude, prädiktive Steuerung der Energienutzung und Verteilung durch Herstellen eines lokalen, maximal regional ausgedehnten Netzwerks für Wärme, Kälte und Elektrizität, sowie minimale Leitungslängen. Klar ist, dass wir, wenn wir eine Energiewende oder, viel besser, die Emissionswende anstreben, nicht eindimensional denken dürfen. Wir müssen den Betrachtungsrahmen nicht nur auf ein Gebäude, sondern auf Quartiere und Regionen legen. Wir müssen vernetzt planen und dabei auch das natürliche Umfeld beachten und hüten.

Bechtloff: Der Verantwortungsbereich unserer Mitgliederunternehmen bezieht sich nicht nur auf die Gebäude. Auch das Umfeld der Gebäude ist von Relevanz. Welche Nachhaltigkeitspotenziale sehen Sie, Frau Weidner, im Wohnumfeld?

Weidner: Durch die Pandemie haben wir erfahren, welchen hohen Stellenwert das soziale Miteinander für uns als Gesellschaft hat. Es wurde auch klar, wie wichtig Flexibilität in der gebauten Umwelt ist. Der Wohnraum wurde unweigerlich auch zum Arbeitsraum, der Außenraum zum erweiterten Wohnraum und sozialen Treffpunkt. All diese Faktoren müssen in Stadtquartieren – insbesondere auch neuen – mitbedacht werden und Angebote für ein informelles Zusammenkommen und gemeinsamen Austausch aller Anwohner auf Aktivitätsund Spielflächen vorgesehen werden. Eine bewusste Durchmischung von Quartieren, nicht nur bezogen auf die Nutzung, sondern auch auf Einkommens- und Altersstruktur kann uns als Gesellschaft stärker machen, da wir uns so weg von der Individualität und Anonymität hin zu einer Gemeinschaft entwickeln können. Ein anderer Aspekt wird bei dieser Diskussion meiner Auffassung nach oft vergessen – und zwar der Hebelarm der Nutzer, beziehungsweise der Bewohner. Damit schließe ich mich nicht aus, denn unsere Ansprüche nach noch mehr Wohnraum – im Durchschnitt liegen wir in Deutschland bei 46 m² pro Person! – nach noch mehr Schallisolation oder noch weniger Toleranzen bei der Raumtemperatur führen zwangläufig dazu, dass immer mehr Material und immer mehr technische Anlagen verbaut werden und die Baukosten noch weiter steigen. Anstatt ein paar Grad Abweichung zur Wohlfühltemperatur zu akzeptieren, wie bei Altbauwohnungen Geräusche aus der Umgebung hinzunehmen, oder Sharingkonzepte bei Räumen oder anderen Nutzgegenständen anzunehmen, sind wir viel zu sehr von hohen individuellen Ansprüchen gesteuert. Auch hier gilt es, in Zukunft durch Alternativangebote und Aufklärung eine Veränderung herbeizuführen, hin zu einer neuen Urbanität des nachhaltigen Miteinanders.

Bechtloff: Unsere Demographie ändert sich. Ist die Ermöglichung von altersgerechtem Wohnen eine zunehmend wichtige soziale Aufgabe?

Weidner: Ja, absolut. In Deutschland – und nicht nur da – sind wir mit einer alternden Bevölkerungsstruktur konfrontiert. Damit verändern sich auch die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner an ihren Wohnraum. Zum einen sollten wir versuchen, einer Vereinsamung im Alter vorzubeugen, was zum Beispiel durch neue, generationenübergreifende Wohnkonzepte realisiert werden kann und zum anderen Wohnraum anbieten, der ein selbstbestimmtes Wohnen bis ins hohe Alter hinein ermöglicht. Ein wichtiger Bestandteil ist nicht nur eine barrierefreie Zugänglichkeit und Anpassbarkeit der Wohnungsgrößen, sondern auch eine funktionierende Einbindung in den städtischen Kontext mit Nahversorgungseinrichtungen altersgerechten Mobilitätsangeboten und Begegnungsräumen für alle Generationen.

Bechtloff: Welche Chancen sehen Sie in neuen Mobilitätskonzepten? Auch wenn es um Fortbewegung geht, sind soziale Aspekte von Relevanz.

Weidner: Das Mobilitätsverhalten hängt zum einen stark vom jeweiligen Hintergrund ab. Wenn man beispielsweise mit dem Auto als Statussymbol groß geworden ist, fällt es schwer, später darauf zu verzichten. Ein anderer wesentlicher Aspekt ist jedoch das urbane Umfeld und natürlich auch das Angebot von Alternativen zum Individualverkehr, die auch in ländlichen Bereichen existieren sollten. Und hier sind Stadtplaner und Kommunen gefragt, die Alternativen entsprechend attraktiv auszubauen und bezahlbar anzubieten. In Kopenhagen hat man vor ein paar Jahrzehnten den Umstieg vom motorisierten Individualverkehr auf das Fahrrad durch konsequenten Ausbau von Fahrradwegen und eine Priorisierung von Fußgängern und unmotorisierter Fortbewegung geschaffen. Dass dadurch auch die Stadt an Lebensqualität immens gewonnen hat, ist ein angenehmer Nebeneffekt. Ähnliches geschah auch in Melbourne und beide Städte zählen zu den weltweit lebenswertesten. Natürlich werden auch Elektromobilität und Sharingkonzepte mit smarter Vernetzung eine immer größere Rolle spielen. Somit kann es gelingen, Flächen für Straßen und Parkierung zu reduzieren, sie zu entsiegeln und den dominanten Straßenraum wieder den Bewohnern zurückzugeben. Viele weitere positive Aspekte, wie zum Beispiel geringere Wärmelast im Sommer durch heiße Motoren, weniger in Fahrzeugen oder Infrastruktur verbaute Ressourcen, mehr menschengerechter Freiraum und eine Gleichberechtigung aller Bevölkerungsgruppen, stärken die Notwendigkeit einer Mobilitätsrevolution.

Bechtloff: Herr Handschuh, welche Implikationen ergeben sich aus all dem für die Unternehmensführung von Wohnungsbauunternehmen?

Handschuh: Wir erachten viele der vbw-Mitgliedsunternehmen, die wir kennen, als gut gerüstet für die Aufgaben und Herausforderungen, die aus der Nachhaltigkeit resultieren. Als gemeinwohlorientierte Wohnungs- und Immobilienunternehmen bauen, vermieten und verwalten sie Wohnraum zu fairen Konditionen und angemessenen Preisen und haben Ihre Mieter und deren Wohlergehen fest im Blick. Durch die aktuelle Dynamik der Marktentwicklungen und die Mehrdimensionalität der Nachhaltigkeit ist wichtig, ein klares Ziel im Sinne eines Gesamtoptimums in den Dimensionen Ökologie, Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit vor Augen zu haben und mit stetiger Weiterentwicklung und mit konsequentem Abwägen der Vor- und Nachteile einzelner Maßnahmen und Initiativen stets darauf hinzuarbeiten. Ein klar formuliertes und breit abgestimmtes Leitbild kann hier als Kompass dienen.
Dabei gilt es zu beachten: Das Top-Management ist gefordert, Ziele zu definieren, konsistent zu kommunizieren und Werte vorzuleben. Das allein reicht aber nicht. Gelingen kann und wird eine vollumfängliche und ausgewogene Nachhaltigkeitsorientierung nur dann, wenn alle an einem Strang ziehen, unter anderem Mitarbeiter aller Ebenen sowie auch Geschäftspartner. Partizipative Managementansätze, die strukturiert alle Akteure aktiv einbeziehen, sind gefragt, um dies zu schaffen. Gemeinsam kann es gelingen, auch große Herausforderungen zu meistern.

Bechtloff: Ein schönes Schlusswort. Herzlichen Dank für das spannende Gespräch. Lassen Sie uns die Punkte angehen und zur Nachhaltigkeit in all ihren Dimensionen beitragen.